Bildungsraum Flucht - Gewalt - Geschlecht

„Häkeln ist international, alle können es lernen.“ Im Interview: Tatiana Nicolás Meza

02.10.2023|14:03 Uhr

Freitagnachmittag, 16.30 Uhr. Tatiana Nicolás Meza hat schon alles aufgebaut: Im Begegnungsraum LauBe liegen Wolle und Häkelnadeln bereit. Mit Unterstützung des Katholischen Bildungswerks und uns, dem Bildungsraum Flucht - Gewalt - Geschlecht, bietet die 17-jährige Gymnasiastin immer freitags einen Handarbeitstreff an. Unter dem Motto „Vernetzt. Vermascht. Verknüpft.“ kommen hier Frauen zusammen, um gemeinsam kreativ zu werden. Vorbild für das Projekt ist der Crafting Circle an Tatianas Schule, welchen sie für Schüler*innen aus Willkommensklassen ins Leben gerufen hat. Was wir von ihr lernen? Häkeln ist so viel mehr als Luftmaschen werfen!

Hallo Tatiana! Was hat dich nach Wuppertal verschlagen und wie bist du zum Häkeln gekommen?

Ich heiße Tatiana Nicolás Meza, ich bin 17 Jahre alt und ich wohne seit fast vier Jahren in Wuppertal. Ich komme aus Spanien und gehe hier in Wuppertal in die 10. Klasse des Gymnasiums Sedanstraße. Mit Häkeln habe ich angefangen als ich 11 Jahre alt war, da war ich mit meiner Familie noch in Spanien. Ich wollte Modedesignerin werden. Ich konnte schon nähen und hatte Lust, noch mehr zu lernen. Mein Papa hat mich dann einfach zu einem Häkelkurs angemeldet, als Überraschung. Und so habe ich angefangen! Allerdings bin ich nicht sonderlich lange dabeigeblieben, erst als ich mit meiner Mutter nach Deutschland gezogen bin, habe ich weitergemacht. Drei Monate musste ich warten, bis ich hier zur Schule gehen konnte und hatte deswegen noch keine Freunde. Ich kannte niemanden. Es war mir einfach zu langweilig! Das Häkeln war da eine super Ablenkung. 

Willst du immer noch Modedesignerin werden?

Ich bin mir nicht mehr sicher. Hier habe ich jetzt auch Chemie und Physik in der Schule, das hatten wir in Spanien noch nicht und ich liebe es! Beide Fächer machen mir richtig viel Spaß. Vielleicht möchte ich also auch sowas machen - und trotzdem Modedesign an einer Uni studieren.

Und warum Häkeln? Was macht dir daran am meisten Spaß?

Ich glaube, dass man mit Häkeln viel mehr machen kann als z.B. mit Stricken oder Nähen. Beim Häkeln gibt es viele verschiedene Arten von Maschen und ich kann ganze Oberteile selbst machen. Oder Puppen. Oder Dekoration für mein Zimmer. Oder Geschenke! Und: Häkeln dauert viel länger als Nähen. Ich habe also länger was davon.

Welche deiner Häkelarbeit magst du am liebsten? Auf welches Stück bist du besonders stolz?

Meine Röcke! Hier sieht man es: In einer Runde habe ich mehr als eine Farbe zum Häkeln benutzt. Dadurch ergeben sich tolle Muster. Das war das erste Mal, dass ich das gemacht habe. Es sieht so viel besser aus, als ich vorher gedacht hätte und seitdem ich das einmal hinbekommen habe, kann ich das auch auf viele andere meiner Arbeiten anwenden. Das ist ein tolles Gefühl!

Jede Reihe ein neues Learning. Tatianas Lieblingsstück, ein Rock, ist besonders farbenfroh.

In deiner Schule, dem Gymnasium Sedanstraße, hast du dann einen Handarbeitstreff gegründet. Wie kam es dazu?

Ja genau, das war im November 2021. Ich wollte das schon länger machen, aber hatte immer das Gefühl, dass mein Deutsch nicht ausreicht, um anderen etwas erklären zu können. 2021 war ich dann schon eineinhalb Jahre hier und es ging immer besser mit der Sprache. Also habe ich den Treff in meiner Schule gegründet. Anfangs haben wir uns nur eine Stunde in der Woche getroffen. Das war viel zu wenig! Fürs Häkeln braucht man einfach mehr Zeit. Also habe ich auf zwei Nachmittage die Woche erhöht, mittlerweile treffen wir uns sogar dreimal. Am Anfang war mein Kurs nur für die internationale Klasse gedacht, also die Kinder, die neu in Deutschland sind. Für sie ist es oft schwer, hier neue Freunde zu finden. Sie trauen sich nicht, mit Schülern aus der Regelklasse zu sprechen, entweder weil ihr Deutsch noch nicht gut genug ist oder sie Diskriminierungen erfahren haben. Ich wollte ihnen ein Zuhause in der Schule geben und ihnen zeigen: Ihr seid nicht allein, wir sind sehr viele, die ähnliche Erfahrungen machen. Mittlerweile kommen Schülerinnen aus den internationalen Klassen und aus den Regelklassen, das finde ich total schön.

Wie läuft so ein Treffen ab?

Wenn ich in den Raum komme, wo wir uns treffen, sind oft schon Schülerinnen da. Sie fragen mich: „Hast du schon die Sachen geholt?“. Sie meinen die Wolle und die Häkelnadeln, die ich dann aus meinem Spint hole. Während wir sitzen und häkeln, reden wir oder hören Musik. Oft gibt es Snacks, die jemand mitgebracht hat. Wir reden über alles, was uns so beschäftigt: Die anderen Schüler, Lehrer, was tagsüber in der Schule passiert ist, das Deutschlernen, über unsere Länder und unsere Kultur. Ich lerne dabei auch viel von den anderen. Es ist spannend zu sehen, wie unterschiedlich wir sind - das zeigt sich auch beim Häkeln. Wenn zum Beispiel eine Person dabei ist, die sehr leise ist und wenig spricht, hatte ich am Anfang oft das Gefühl, dass sie keinen Spaß am Häkeln hat und nicht wiederkommen wird. Das Gegenteil war der Fall! Sie ist einfach nur eine stillere Person und das ist okay. Besonders schön ist, dass in unserem Handarbeitstreff schon richtige Freundschaften entstanden sind: Ein Mädchen kam erst alleine und hat dann noch ihre Freundinnen mitgebracht. Jetzt sind wir eine Freundinnengruppe zu viert! Und auch andere, die vorher oft alleine waren, haben jetzt Freundinnen gefunden.

Aller Anfang ist... eine Luftmasche! Wenn Tatiana häkelt, bleibt es aber nicht lange dabei.

Aus welchen Ländern kommen die Schülerinnen, die bei deinem Treff dabei sind?

Ganz unterschiedlich. Aus der Türkei, Südamerika, überall. Zuletzt kamen sehr viele Schülerinnen aus der Ukraine, oft konnten sie noch gar kein Deutsch und auch nicht viel Englisch. Das war ziemlich schwer! Ich habe dann versucht, alles mit meinen Händen zu erklären oder ganz langsam zu sprechen, sodass sie vielleicht ein oder zwei Wörter oder die Zahlen lernen konnten. Das war natürlich kompliziert, aber am Ende haben es immer alle verstanden. Häkeln ist international, jeder kann es lernen.

Was wünscht du dir für dein Projekt in der Schule und deinen neuen Handarbeitstreff in der LauBe?

Ich wünsche mir, dass noch mehr Menschen davon erfahren, dass ich das mache und wir noch mehr Leute motivieren können, in die LauBe zu kommen und teilzunehmen - egal ob sie schon häkeln können oder nicht. Ich hoffe, dass dabei gute Gespräche zu Stande kommen und wir offen miteinander sprechen können. Ich möchte mich z.B. über meine Kultur austauschen dürfen. In der Schule habe ich einmal mit einer Freundin über unsere Heimatländer gesprochen und eine Mitschülerin hat uns daraufhin rassistisch beleidigt. Immer kriegt man zu hören: „Ihr sollt darüber nicht sprechen, wir sind hier in Deutschland, ihr sollt euch mit der deutschen Kultur auseinandersetzen.“ Das finde ich sehr schade, denn meine Kultur gehört einfach zu mir und ich möchte, das andere davon erfahren und ich offen über meine Herkunft sprechen kann. Ich weiß, dass es anderen genauso geht und ich finde, dass wir viel voneinander lernen können. Das Zusammensein hilft, solche Erfahrungen zu verarbeiten. Es ist schwer zu erklären: Wenn alle zusammen sind und dasselbe machen, ist das einfach entspannend. Alles, was vielleicht über den Tag angefallen oder passiert ist, gerät in Vergessenheit. Es ist Vergangenheit. Wir sind einfach zusammen und häkeln. Das tut gut.

"Wenn alle zusammen sind und dasselbe machen, ist das einfach entspannend. Alles, was vielleicht über den Tag angefallen oder passiert ist, gerät in Vergessenheit. Es ist Vergangenheit. Wir sind einfach zusammen und häkeln. Das tut gut."

Tatiana Nicolás Meza

Tatianas Crafting Circle "Vernetzt. Vermascht. Verknüpft!" findet bis einschließlich 22. Dezember immer freitags von 16.30 - 18 Uhr in der LauBe statt (Laurentiusstraße 7, 42103 Wuppertal). Es braucht keine Anmeldung und kein Vorwissen, die Teilnahme ist kostenlos und Materialien werden gestellt – das Einzige, was es braucht, ist die Lust am Austausch und dem gemeinsamen Kreativwerden.

Weitere Infos über #UniWuppertal: